Freisetzen von gv-Pflanzen und NTG-Pflanzen
Freilandversuche mit gentechnisch veränderten und genomeditierten Pflanzen in Europa
Eine effektive Pflanzenzüchtung ist nicht ohne Untersuchungen der Nachkommen in der freien Natur möglich und wird dementsprechend traditionell in den Zuchtarealen gehandhabt. Bei den klassischen Züchtungsverfahren oder bei der Nutzung der induzierten Zufallsmutagenese können die neugenerierten Pflanzenabkömmlinge direkt ins Freiland gepflanzt und ihre Eigenschaften analysiert werden. Solche Untersuchungen bilden eine wissenschaftliche Basis für die Bewertung des Züchtungserfolges und für die Sortenzulassung.
Gesetzliche Regelung
Bei den Züchtungsverfahren mit molekularbiologischen Methoden (Eingriffen ins Genom) ist dagegen in den meisten Ländern das Ausbringen der Pflanzen nicht ohne staatliche Genehmigung erlaubt. In der Europäischen Union regelt dies grundsätzlich die Freisetzungsrichtlinie 18/2001/EG [1]. Diese unterscheidet hier zwischen dem Freisetzen für wissenschaftliche (experimentelle) und kommerzielle Zwecke. Regelungen für das Freisetzen solcher Pflanzen für wissenschaftliche Zwecke werden den Mitgliedsstaaten übertragen. Die Mitgliedsstaaten haben jeweils ihre eigenen Vorschriften erlassen und die Anforderungen für den Umgang mit solchen Pflanzen und deren Sicherheitsbewertung sind in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich. Die Mitgliedsstaaten bzw. deren kompetente Behörden bewerten die Freisetzungsanträge selbst und erteilen auch die Erlaubnis zum Freisetzen der entsprechenden Pflanze, wobei sie auch spezifische Auflagen zum Schutz der Umwelt erteilen können. Das Freisetzen für wissenschaftliche Zwecke ist stets zeitlich begrenzt und auf eine oder mehrere vorab festgelegte Anbaufläche(n). beschränkt. Das kommerzielle Freisetzen, der Anbau, dagegen ist EU-einheitlich geregelt. Er bedarf einer umfassenden Sicherheitsbewertung für Mensch und Umwelt durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und einer Genehmigung durch die EU-Kommission unter Beteiligung der Mitgliedsstaaten (Komitologieverfahren).
In Deutschland wird das Freisetzen über das Gentechnikgesetz Teil 1, § 2, Abs.3, Teil 3, §14, §16a (Standortregister) geregelt [2]. Die zuständige kompetente Behörde ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) [3].

Freisetzen
Ähnlich wie bei konventionellen Pflanzen werden in diesen Untersuchungen im Freiland wichtige Daten zu den generellen Eigenschaften und der genetischen Stabilität den neugezüchteten Pflanzen gewonnen. Ebenso sind Freisetzungen und die daraus gewonnenen Kenntnisse eine Notwendigkeit für eine mögliche Sortenzulassung.
Zusätzlich werden bei gv-Pflanzen mögliche Interaktionen der gentechnischen Transformation auf das Gesamtgenom und mögliche unerwünschte Effekte beobachtet und analysiert. Das Freisetzen liefert Erkenntnisse über mögliche Interaktionen der gv-Pflanzen mit der belebten Umwelt (Flora und Fauna) unter natürlichen Umweltbedingungen.

Die Freilandversuche liefern Daten für die Sicherheitsbewertung der gv-Pflanzen und sind ein integraler Bestandteil für ein Genehmigungsverfahren.
Die Datenerhebung richtet sich natürlich nach dem Zweck der experimentellen Freisetzung. Sie unterscheidet sich bereits innerhalb der Grundlagenforschung, aber auch von der falls die gv-Pflanze später einmal für kommerziellen Nutzung zugelassen werden soll. In beiden Fällen wird aber bei der Genehmigung einer Freisetzung ein hoher Standard an die Sicherheit für Mensch und Umwelt eingehalten.
Freisetzen von gv-Pflanzen
In Europa werden Untersuchungen mit / an gv-Pflanzen im Freiland seit Beginn der 90 er Jahre durchgeführt. Seit Verabschiedung der Freisetzungsrichtlinien RL 90/200/EWG und 2001/18/EG müssen in der Europäischen Union Freisetzungen von gv-Pflanzen angezeigt werden. Dadurch erfolgt eine systematische Erfassung von Freisetzungsanträgen [5], allerdings wird nicht erfasst, ob die beantragten Freisetzungen auch ausgeführt wurden. In den Jahren 1995 bis 2000 wurden in den Mitgliedsstaaten jährlich durchschnittlich 220 Freisetzungen beantragt. Diese hohe Zahl hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass in diesem Zeitraum auch der kommerzielle Anbau einiger gv-Maisvarietäten im Raume stand und die notwendigen Daten in Bezug auf die Umwelt erhoben werden mussten. Eine Zulassung zum Anbau hat dann 1998 als einzige Pflanze der insekten-resistente Mais MON 810 erhalten. Diese ist noch heute gültig.
Im Zeitraum 2001-2005 wurden jährlich durchschnittlich 75 und in den Jahren 2006-2010 102 Freisetzungsanträge gemeldet. Die Freisetzungen hingen meist mit Untersuchungen zu möglichen Auswirkungen von gv-Pflanzen auf die Umwelt (Pflanzen und Insekten) und der Ermittlung von Pollenflugweiten zur Erstellung von Abstandsregelugen zwischen gv- und konventionellen Anbauflächen zusammen.

Nach 2010 gingen die Meldungen an Freisetzungen kontinuierlich zurück und verharren bis heute auf einem niedrigen Niveau. In Zeitraum 2010 – 30. Juni 2024 wurden von den Mitgliedsstaaten in Summe 292 Freilandversuche bei der Kommission angemeldet (Abb. 1)

Abb. 1. Anträge auf Freisetzungen aus der EU-Mitgliedsstaaten im Zeitraum 2010 -2024 (* 30. Juni 2024);
Großbritannien bis Juni 2019
1: EU-Register, 2: Standortregister (Mais MON 810)
In Deutschland erfolgte 2012 der letzte Freilandversuch und 2013 wurde der letzte überhaupt angemeldet. Dies liegt u. a. auch daran, dass die meisten Freisetzungsareale systematisch zerstört wurden und kaum wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Deutsche Forschungseinrichtungen führen gegenwärtig im europäischen Ausland Untersuchungen im Freiland durch (z.B. in der Schweiz in staatlich geschützten Arealen). In Deutschland ist die Einrichtung solcher „protected sites“ nicht vorgesehen. Die Nachfrage nach einem geschützten Raum für Untersuchungen im Freiland ist allerdings unter den deutschen Wissenschaftlern (m/w) hoch [6].
Spanien (25), Schweden (22) und Belgien (13) führen die Liste der Länder mit Freisetzungsanträgen an (Abb. 2).

Abb. 2: EU-Staaten, die Anträge auf Freisetzungen gestellt haben. Zeitraum 2015 – 30. Juni 2024
Großbritannien bis Juni 2019
In Abb. 3 sind die freigesetzten Pflanzen aufgezeigt. Für Europa nicht ganz verwunderlich stehen Kartoffeln und Mais an der an Spitze gefolgt von Weizen und Gerste.

Abb. 3: Freigesetzte Pflanzen in der EU im Zeitraum 2015 – 2024
Freisetzungen von genomeditierten Pflanzen / NGT-Pflanzen
2012 [7] nach der Veröffentlichung von Doudna und Charpentier zur Genomeditierung von Organismen durch das CRISPR/Cas Verfahren begann eine neue Ära in der Pflanzenzüchtung. Neue Werkzeuge wie CRISPR/Cas, TALEN, und Zinkfingernukleasen werden verstärkt für genetischen Änderungen bei Pflanzen eingesetzt. Das Genom kann mit ihnen in einem ausgewählten DNA-Sequenzbereich gezielt verändert werden und in der Regel wird keine „artfremde“ genetische Information eingeführt. Die Änderungen beschränken sich meist auf Punktmutationen, kleine Insertionen und Deletionen.
2016 wurde in der EU der erste Freisetzungsantrag von CRISPR/Cas9 editierten Pappeln von der schwedischen Universität Umea angezeigt. Diese Freisetzung betrifft reine Grundlagenforschung. Anwendungen der neuen genomischen Techniken für wissenschaftliche Untersuchungen an Pflanzen schreiten auch in der EU rasant fort. Die EU-SAGE-Datenbank listet unter den mehr als 900 Forschungsprojekten weltweit 130 für die EU auf. Genauso nehmen auch die Studien mit / an genomeditierten Pflanzen im Freiland stetig zu und überwiegen in den letzten Jahren jenen aus der klassischen Gentechnik (Abb. 4). In der Schweiz wurde eine Freisetzung mit genomeditierter Gerste von deutschen Wissenschaftlern unternommen [9].

Abb. 4: Anträge auf Freisetzungen von gv-Pflanzen und NGT-Pflanzen
* Zwei Anträge aus Großbritannien
Mit der klassischen Gentechnik und den neuen genomischen Techniken werden ähnliche Pflanzenspezies bearbeitet. In der EU stehen Kartoffeln, Mais und Pappeln im Vordergrund, während sich englische Forscher (m/w) mehr dem Weizen, der Gerste und Tomaten zuwenden (Abb. 5). Über die Landesgrenze hinweg sind die Freisetzungen von NGT-Weizen mit reduzierter Synthese der Aminosäure Asparagin [10] und von NGT-Tomaten mit der Fähigkeit zur Ausbildung von Provitamin D 3 [11] bekannt geworden.

Abb.5: Anträge zur Freisetzung von NGT-Pflanzen
* Schweiz
Bis heute sind in Europa die Anträge für Freisetzungen von genomeditierten Pflanzen auf fast 50 gestiegen, wobei nahezu die Hälfte der Anträge in UK gestellt wurden. Die Mehrheit der Pflanzen wurden über das CRISPR/Cas Verfahren genetisch verändert. Mit vermehrten Freisetzungen kann aber in den nächsten Jahren gerechnet werden, denn es benötigt Zeit die Pflanzen zu modifizieren, zu vermehren und vor der Freisetzung im Gewächshaus auf ihre Eigenschaften und Sicherheit zu untersuchen. Auch wenn Gentechnik-Kritiker oft versuchen zu suggerieren, dass Pflanzen ohne Sicherheitsuntersuchung einfach direkt aus dem Labor in Freiland verbracht werden, so ist dies in Europa jedenfalls nicht der Fall! Ebenfalls wäre es unredlich englischen Wissenschaftlern zu unterstellen, sie würden nur deshalb so viele Freisetzungsexperimente nach dem Brexit durchführen, da sie nun für genomeditierten Pflanzen keinem Genehmigungsverfahren und keinen Sicherheitsauflagen mehr unterliegen würden.

Informationen zu beantragten Freisetzungen
Die Register zu den Freisetzungsanträgen sind alle öffentlich zugänglich. Die Informationen sind somit für alle leicht erhältlich. Allerdings interessieren sich nur wenige für Freisetzungen für wissenschaftliche Zwecke; für die breite Öffentlichkeit sind sie weitgehend uninteressant. Ins Licht der Öffentlichkeit rücken sie selten, meist dann wenn ein Freisetzungsareal zerstört wurde oder wenn besonders für die Allgemeinheit interessante oder nützliche Pflanzen freigesetzt wurden.
EU-Staaten:
EU-Kommission: Deliberate release of GMOs into the environment- Register of Directive 2001/18/EC
https://webgate.ec.europa.eu/fip/GMO_Registers/
Part B notifications (experimental releases) – GM Plants
https://webgate.ec.europa.eu/fip/GMO_Registers/GMO_Part_B_Plants.php
Deutschland:
BVL: Das GVO-Standortregister
Das Standortregister
Großbritannien:
GOV.UK: Food and farming industry – Research and statistics
Schweiz:
Standort für Feldversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen
Referenzen:
[1] Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl. L106,1-37
https://www.bfr.bund.de/cm/343/richtlinie_2001_18_eg_ueber_die_absichtliche_freisetzung.pdf
[2] GenTG: Gentechnikgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1993-ff
https://www.gesetze-im-internet.de/gentg/GenTG.pdf
https://www.biotech-gm-food.com/gesetze/gesetz-zur-regelung-der-gentechnik-gentechnikgesetz-gentg
[3] BVL: Freisetzungen
[4] Genehmigungs- und Zulassungsverfahren für das Freisetzen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen sowie von daraus gewonnenen Lebensmitteln.
https://www.biotech-gm-food.com/gvo-gesetze/zulassungsverfahren
[ 5] EU-Kommission: Deliberate release of GMOs into the environment- Register of Directive 2001/18/EC
https://webgate.ec.europa.eu/fip/GMO_Registers/
[6] Protected sites:
[7 ] 2012: Jinek M., Chylinski K., Fonfara I., Hauer M., Doudna J.A. and Charpentier E. (2012): A Programmable Dual-RNA–Guided DNA Endonuclease in Adaptive Bacterial Immunity. Science 337, Issue 6096, 816-821 | DOI: 10.1126/science.1225829
[ 8] EU-SAGE-Datenbank:
https://www.eu-sage.eu/genome-search
[9] FU-Berlin: Erster Test mit CRISPR-Gerste im Freiland in der Schweiz
https://www.fu-berlin.de/campusleben/forschen/2024/240628-gerste-schmuelling/index.html
[10] Weizen mit reduziertem Gehalt an freiem Asparagin – Reduzierung der Bildung von Acrylamid während der Verarbeitung
[11] Tomate mit erhöhtem Gehalt an Vitamin D
https://www.wggev.de/crispr-tomate-mit-erhoehtem-vitamin-d-gehalt/
Anhang I: Tab. 1 Freisetzungen von NGT-Pflanzen bis 30. Juni.2024
Alle Daten beziehen sich auf den Stichtag 30. Juni 2024
08.07.2024
Freilandversuche mit gentechnisch veränderten und genomeditierten Pflanzen in Europa
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