inf´OGM reagiert auf AFBV-WGG Stellungnahme zum Trilogverfahren
Die französische gentechnik-kritische Gruppe ► Inf´OGM hat am 05.08.2025 auf die gemeinsame ► Stellungnahme „Anmerkungen und Empfehlungen zum Trilog über den Regulierungsvorschlag der Europäischen Kommission zu neuen genomischen Techniken („NGTs“) des AFBV und WGG reagiert:
Meshaka D.: Le lobby scientifique s’invite dans le trilogue sur la déréglementation des OGM/NTG
Auch wenn unter dem link eine englische Fassung veröffentlicht wurde, hat der WGG für die deutschen Leser eine Übersetzung des französischen Textes angefertigt.

Bürgerinformationswache zu GVO und Saatgut
Die Wissenschaftslobby beteiligt sich am Trilog der Deregulierung von GVO/NGT
Von Denis Meshaka
Veröffentlicht am 05/08/2025
Während die Europäische Union versucht ihren Trilog zur Deregulierung von gv-Pflanzen (GVO), die aus neuen Techniken (NGT) stammen, voranzutreiben, melden sich die französische Vereinigung für Pflanzenbiotechnologie (AFBV) und ihr deutsches Pendant (WGG) zu Wort. In einer gemeinsamen Mitteilung weisen sie auf Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat hin und plädieren auf Grundlage ihrer Meinung nach „wissenschaftlichen” Argumenten für eine Deregulierung dieser GVO zum Vorteil des Biotech-Sektors.


Am 4. Juli veröffentlichten der französische Verband für Pflanzenbiotechnologie (AFBV) und der Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik (WGG) gemeinsam eine Mitteilung [i], in der sie ihre Analyse und die wichtigsten Punkte zwischen den Positionen des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union zur Regulierung von GVO aus NGT darlegen. In diesem technischen Dokument verteidigen die beiden Verbände, zu denen Personen gehören, die vom Nutzen der Pflanzenbiotechnologie überzeugt sind (darunter auch Wissenschaftler mit Verbindungen zur Industrie[ii], ein Landwirtschaftsmodell, das sich auf die Biotechnologie und die damit verbundenen industriellen Interessen konzentriert. Diese sektorale Position zu NGTs lässt das Vorsorgeprinzip, die Ernährungssouveränität und die Transparenz in der Argumentation in den Hintergrund treten.
Vier offene Fragen im Trilog
AFBV und WGG gehen von einem Informationsvermerk aus, der am 13. Juni 2025 von Polen veröffentlicht wurde, dessen EU-Ratspräsidentschaft am 30. Juni endete [iii]. In ihm wird auf vier offene Fragen im Trilog hingewiesen. Es sei daran erinnert, dass der Trilog stattfindet, obwohl der Rat seine Position in erster Lesung noch nicht endgültig festgelegt hat, obwohl er der Präsidentschaft bereits ein Verhandlungsmandat erteilt hat. Wir geben hier die Darstellung von AFBV und dem WGG zum Vermerk der polnischen Ratspräsidentschaft sowie die Empfehlungen der beiden Verbände wieder.
Was die Bedingungen für die Erlangung „NGT1-Status“ betrifft – ein Status für GVO, der als ähnlich wie nicht gentechnisch veränderte Organismen oder aus der sogenannten „traditionellen“ Züchtung stammend betrachtet wird – öffnen sie den Weg für die Genehmigung der Vermarktung ohne Risikobewertung, ohne Kennzeichnung (außer der Vermarktung von Saat- und Pflanzgut), ohne Rückverfolgbarkeit, ohne die Verpflichtung, die Mittel zum Nachweis und zur Identifizierung dieser Risiken darzulegen und ohne Überwachung nach der Vermarktung. AFBV und WGG weisen darauf hin, dass das Parlament den Status „NTG1“ auf Pflanzen beschränken möchte, die „nachhaltige“ Eigenschaften mitbringen, und die Herbizidtoleranz davon ausschließt, während der Rat einen breiteren Ansatz bevorzugt, der auf dem „Prinzip der Gleichwertigkeit“ beruht. So erklärt er gv-Pflanzen, deren genetische Veränderungen angeblich strengen, in Wirklichkeit aber sehr freizügigen Kriterien entsprechen, für gleichwertig, wobei lediglich die Herbizidtoleranz ausgeschlossen wird. AFBV und WGG plädieren für einen „akzeptablen Kompromiss„, der darin besteht, die Nachhaltigkeitsbewertung in andere Verordnungen zu integrieren. In diesem Fall in den Vorschlag für eine Verordnung über pflanzliches Vermehrungsmaterial (MRV) [iv] (oder „Saatgutverordnung“) der derzeit diskutiert wird. Ein Vorschlag, der es ermöglichen würde diese Debatte zu vermeiden, ohne dabei sicherzustellen, dass sie im Rahmen ander Gesetzesvorhaben stattfindet.
In Bezug auf die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von Produkten, die aus NGT-1-Pflanzen gewonnen werden, erinnern die beiden Verbände an die Forderung des Parlaments, alle derartigen Produkte durchgängig bis zum Verbraucher zu kennzeichnen, während sich die Forderung des Rates auf Pflanzenvermehrungsmaterial beschränkt, das mit diesen Techniken genetisch verändert wurde. AFBV und WGG unterstützen die Version des Rates und argumentieren – auf der Grundlage einer semantischen Verwirrung, die wie im Fall der Europäischen Kommission in wissenschaftliche Sprache gekleidet sind –, dass durch NGT1 hervorgerufene genetische Veränderungen nicht von natürlichen Mutationen unterschieden werden können und daher keiner besonderen Kennzeichnung unterliegen sollten.
Dritte offene Frage ist die Ausnahmeregelung („opt-out“ oder „Schutzklausel“), die es den Mitgliedstaaten erlaubt den Anbau vonNGT-2-Pflanzen, die auf EU-Ebene zugelassen sind, auf ihrem Hoheitsgebiet zu verweigern. Der Rat möchte diese nationale „opt-out“-Option beibehalten, während das Parlament sie abschaffen und den Mitgliedstaaten die Verantwortung für die Koexistenz übertragen möchte. AFBV und WGG unterstützen die Position des Parlaments und argumentieren, dass diese Verweigerungsmöglichkeit den Einsatz von NGT „unvorhersehbar macht und somit deren Entwicklung und Verwendung behindert“.
Was schließlich die Maßnahmen zur „Bewältigung der Auswirkungen von Patenten auf NGT-Pflanzen“ betrifft, – einem wichtigen Streitpunkt zwischen den europäischen Institutionen -, schlägt das Parlament vor, alle durch NGT genetisch veränderten Pflanzen von der Patentierbarkeit auszuschließen. Der Rat hingegen zieht es vor, Transparenz zu fördern und eine „faire“ Lizenzvergabe zu unterstützen. Es überrascht nicht, dass AFBV und WGG den Patentschutz, der ihrer Meinung nach für Neugründungen in diesem Sektor unerlässlich ist, nachdrücklich verteidigen.
Das spezifische Thema der Äquivalenzkriterien
Im zweiten Teil ihrer Stellungnahme vergleichen AFBV und WGG die vom Rat und vom EU-Parlament vorgeschlagenen Änderungen des Anhangs I zum Vorschlag der Kommission über die Kriterien für die regulatorische Äquivalenz von durch NGT-1 genetisch veränderten Pflanzen mit Pflanzen aus der „herkömmlicher Züchtung“.
Beide Verbände unterstützen den Standpunkt des Rates, das Kriterium von weniger als 20 genetischen Veränderungen beizubehalten, indem sie den Zusatz „pro monoploiden Genom“ (eine Kopie jedes Chromosoms) hinzufügen, um „die Notwendigkeit von Flexibilität für polyploide Pflanzen angemessen zu berücksichtigen“. Wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) [vi] halten sie diesen Standpunkt für wissenschaftlich gerechtfertigt. Mit diesem Vorschlag schlagen AFBV und WGG vor, die Anzahl der genetischen Veränderungen mathematisch zu erhöhen und damit den Weg für den „NGT1“-Status zu ebnen. Die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen „zwanzig“ Veränderungen betreffen tatsächlich jede gentechnisch veränderte Pflanze. Im Fall von Weizen, dessen Genom sechs verschiedene Chromosomensätze enthält, würde der Vorschlag von AFBV und WGG daher bedeuten, dass 20×6 Veränderungen, also 120 genetische Veränderungen, die möglicherweise alle unterschiedlich sind, berücksichtigt werden müssten. Hinzu kommt, dass die Kommission bereits vorgeschlagen hat, nur bestimmte Kategorien von genetischen Veränderungen zu berücksichtigen und alle anderen zu ignorieren [vii].
Die beiden Verbände plädieren auch für eine Neufassung dieser Kriterien, um eine zu starre Trennung zwischen gezielter Mutagenese und Cisgenese zu vermeiden, mit der Feststellung, dass dies zu Verwirrung führen könnte, sowie dem Verzicht auf die Berücksichtigung der Unterbrechung endogener Gene. Die vorgeschlagenen Änderungen zielen darauf ab, den Zugang zum Status „NTG1“ noch weiter auszudehnen. Der AFBV und die WGG treten außerdem für die Beibehaltung der Definition des Parlaments zu „chimären Proteinen“ ein, d. h. Proteinen, die durch die Fusion von zwei oder mehr Genen oder Teilen von Genen kodiert werden, die ursprünglich für unterschiedliche Proteine kodierten. Sie wären nur dann erlaubt, wenn sie bereits in einer Art aus dem Genpool der Züchter existieren [viii].
Ideologische Ausrichtung und Lobbyarbeit
Dieser technische Vermerk des AFBV und des WGG ist zwar konstruktiv gemeint, bleibt aber von ideologischen Orientierungen geprägt. Unter dem Deckmantel eines wissenschaftlichen Diskurses sind die Empfehlungen von AFBV und WGG in Wirklichkeit auf Lobbying-Ziele ausgerichtet. Unterstützung dieser beiden Verbände für die Vorschläge des Parlaments oder des Rates zur Deregulierung von GVO/NTG zeugt von einer bedingungslosen Befürwortung dieser Techniken.
Die Empfehlungen des AFVB und WGG zur Deregulierung von GVO/NGT stützen sich auf wissenschaftliche Argumente, für die sie selbst die Kriterien festgelegt haben. Diese Entscheidung steht jedoch im Widerspruch zu einigen Stellungnahmen offizieller Institutionen in ihren jeweiligen Ländern. In der Tat haben sowohl für Frankreich als auch für Deutschland Berichte die Risiken und Unzulänglichkeiten einer solchen Deregulierung von GVO/NTG hervorgehoben: der Bericht der Anses (Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation et de l’environnement) vom März 2024, in dem eine angemessene Regulierung von NTG gefordert wird [ix], und der Bericht der deutschen Regierung vom April 2025 zur Vereinbarkeit dieses Deregulierungsvorschlags mit dem Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit [x].
In einem der Hauptpunkte ihrer Stellungnahme argumentieren AFBV und WGG, dass durch NGT1 genetisch veränderte Pflanzen keine GVO wären, da ihre Veränderungen ihrer Ansicht nach denen ähneln, die auch auf natürliche Weise auftreten können. Der Bericht der deutschen Bundesregierung, der die Entwicklung von NGTs unterstützt, kam jedoch 2024 zu dem Schluss, dass die vorgeschlagene europäische Verordnung nicht mit dem Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit vereinbar ist (das die Europäische Union dennoch ratifiziert hat). Dieses internationale Übereinkommen verlangt eine Risikobewertung für alle lebenden veränderten Organismen (LMOs), unabhängig von der verwendeten Technik, einschließlich NGT. Die AFBV erklärte bereits im Dezember 2024, dass GVO/NGT1 nicht als LMOs im Sinne des Cartagena-Protokolls betrachtet werden sollten[xi].
Die AFBV und die WGG präsentieren sich als wissenschaftliche Vereinigungen, also theoretisch unabhängig, neutral und objektiv. Wie bereits oben erwähnt, zeigen ihre Engagements hingegen, dass sie sich in ihrer Rhetorik auf die Verteidigung der landwirtschaftlichen Biotechnologie, insbesondere der gentechnischen Methoden, konzentriert haben. Der WGG hatte jedoch den Begriff „Grüne Gentechnik“ in seiner Bezeichnung bis 2022 beibehalten. Damit unterstützten beide Vereinigungen konsequent einen Ansatz, der die Industrie dieses Sektors unterstützt, die heute versucht, GVO/NTG zu deregulieren, sie über Patente zu privatisieren und den Zugang kleiner und mittlerer Landwirte und Saatgutunternehmen zu Pflanzenmerkmalen zu beschränken.
Der französisch-deutsche Vermerk von AFBV und WGG beleuchtet die technischen Fragen der laufenden Diskussionen über die Regulierung von GVO/NTG. Er erläutert jedoch vor allem eine sektorale Position, die von Akteuren vertreten wird, die eine Landwirtschaft befürworten, die auf technischen Entwicklungen beruht, die mit einer ökologischen Landwirtschaft unvereinbar sind, und die nur einmal im Zusammenhang mit der Kennzeichnung von NTG1 erwähnt wird: „Wir stimmen mit der polnischen Präsidentschaft und der Kommission darin überein, dass die Kennzeichnung von pflanzlichem Vermehrungsmaterial eine angemessene und ausreichende Maßnahme ist, um den Anliegen des Sektors „ökologischer Landbau“ gerecht zu werden“.
Durch die Befürwortung permissiver Kriterien und einer minimalen oder gar fehlenden Regulierung von GVO/NTG stellen AFBV und WGG – wenig überraschend, aber deutlich und mit dem wissenschaftlichen Kredit, den sie sich selbst verleihen – die Grundsätze der Vorsorge, der Ernährungssouveränität, der Transparenz und des erleichterten Zugangs zu genetischen Ressourcen in den Hintergrund, die jedoch für ein gerechtes und alle Menschen schützendes europäisches Aufbauwerk grundlegend sind.
i AFBV und WGG, „ Anmerkungen und Empfehlungen zum Trilog über den Regulierungsvorschlag der Europäischen Kommission zu neuen genomischen Techniken (NGTs)“ 4. Juli 2025.
Ii Dem Vorstand und dem wissenschaftlichen Ausschuss der AFBV gehören Personen an, die leitende Positionen bei Syngenta, Calyxt und Limagrain innehatten. Ihr neuer Präsident ist Thierry Langin, Forschungsdirektor am CNRS in Clermont-Ferrand. Die WGG ist Mitglied von VBIO, der „Dachorganisation für Biowissenschaften in Deutschland”, und vertritt die Interessen von Biotech- und Agrarindustrieunternehmen wie Bayer Crop Science, das ebenfalls Mitglied ist.
iii Rat der Europäischen Union, Informationsvermerk der polnischen Präsidentschaft, „Verordnung über Pflanzen, die durch bestimmte neue Genomtechniken gewonnen wurden, und ihre Lebens- und Futtermittelprodukte – Stand der Dinge”, 13. Juni 2025.
iv Der Begriff „PRM” umfasst sämtliches Material, das zur Vermehrung oder Vervielfältigung von Pflanzen (landwirtschaftliche Kulturpflanzen, Gemüse, Reben und Obstpflanzen) verwendet wird.
v Denis Meshaka, „EU – ‚Saatgut’: der andere Vorschlag im Gesetzespaket”, Inf’OGM, 22. September 2023.
vi Eric Meunier, „Französische Anses-Experten: Die Deregulierung von GVO hat „keine wissenschaftliche Grundlage””, Inf’OGM, 16. Januar 2024.
vii Eric Meunier, „Wissenschaftliche Manipulation als Grundlage des künftigen GVO-/NGT-Gesetzes?“, Inf’OGM, 29. November 2023.
viii Eric Meunier, „Der Genpool der Züchter: eine semantische Falle?“, Inf’OGM, 15. Januar 2024.
ix Eric Meunier, „Französische Anses-Experten: Die Deregulierung von GVO hat „keine wissenschaftliche Grundlage””, Inf’OGM, 16. Januar 2024.
x Silja Vöneky, Constantin Born, Laura Tribess und Silke Weller, „Vereinbarkeit des EU-Vorschlags für eine Verordnung über Pflanzen, die auf bestimmten neuen Genomtechniken basieren, mit dem Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit“, April 2025.
xi AFBV, „Aktueller Stand der laufenden Diskussionen über den Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zu neuen Genomtechniken („NGTs“) : Empfehlungen für den Trilog“, 20. Dezember 2024.
pdf-Datei der inf´OGM Fassung
in Englisch
pdf-Datei der übersetzen französischen Fassung