Korrespondenz - national - offene Briefe
WGG/VBIO - Offener Brief 2018 an Ministerin Klöckner und Ministerin Karliczek


Frankfurt a. Main/ Berlin, den 21.November
2018
Nach dem
EuGH-Urteil zu Genome Editing – Die Politik ist am Zug
Sehr geehrte
Frau Bundesministerin Klöckner,
sehr geehrte
Frau Bundesministerin Karliczek,
im Juli dieses
Jahres hat der Europäische Gerichtshof seine lange erwartete juristische
Stellungnahme zur regulatorischen Einstufung von Mutageneseverfahren abgegeben.
Aus Sicht der Richterinnen und Richter sind auch die Techniken des Genome
Editing als gentechnische Methoden anzusehen und unterliegen somit allen
Regularien der geltenden Gentechnikgesetze. Wie viele unserer europäischen
Kolleginnen und Kollegen besorgt auch uns diese pauschale Einstufung und wir
warten nun auf einen längst überfälligen Akteur: die Politik.
Als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind wir der Überzeugung, dass die beste Basis für gesellschaftliche Entscheidungen nachvollziehbare wissenschaftliche Fakten sind. Und die gilt es in Hinblick auf das jüngst gefällte EuGH-Urteil nun neutral zu analysieren und einzuordnen, um sie sodann zur Grundlage des weiteren Geschehens zu machen. Bleibt nämlich das Urteil das letzte Wort und die EU-Gesetze auch weiterhin so wie sie sind, haben die Anwendungen des Genome Editing in der Europäischen Union kaum eine Chance. Die Folge wären dauerhafte und einschneidende Nachteile für Forschung und Entwicklung – beispielsweise in Hinblick auf dringend benötigte klimaresistente, nährstoffreichere und ertragreichere Nutzpflanzen zur Bewältigung ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Herausforderungen. Zudem steht zu befürchten, dass exzellente Forscherinnen und Forscher und mit ihnen ihr Know-how abwandern, weil sie in Europa keine Entwicklungsmöglichkeiten sehen.
Die Rechtsgrundlage für das im Juli ergangene EuGH-Urteil ist die Richtlinie 2001/18/EC, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) definiert und den Umgang mit diesen reguliert – basierend auf dem Wissensstand der 1990er Jahre. Heute hat sich das Wissen über Gene und Genome massiv weiterentwickelt. Die Richtlinie wird also dem Stand des Wissens nicht mehr gerecht.
Die
Richterinnen und Richter haben entsprechend den rechtlichen Gegebenheiten
geantwortet. Und zwar auf Fragen, die ihnen direkt gestellt wurden. Sie
unterliegen keiner Verpflichtung, weitere Fachkompetenz einzuholen. Sie hätten
es tun können, aber sie mussten es nicht und haben es auch nicht getan. So
bezieht das juristische Urteil naturwissenschaftliche Bewertungen nicht mit
ein. In der Politik wiederum hat man die schon lange notwendige Anpassung des
Gentechnikgesetzes an den Stand der Wissenschaft seit Jahren vor sich
hergeschoben und schlicht nichts getan. Das Resultat: Juristinnen und Juristen
werden in Sachen Gentechnik nach geltendem Recht gefragt und entscheiden nach
geltendem Recht – und damit gleichzeitig nach Stand der Wissenschaft der 1990er
Jahre.
Der Scientific Advice Mechanism (SAM), der
wissenschaftliche Think Tank
der Europäischen Kommission, hat in deren Auftrag durch Verfahren des Genome
Editing entstandene Pflanzen untersucht und kam, ebenso wie beispielsweise die
EFSA (und einer Vielzahl wissenschaftlicher Einrichtungen weltweit), zu dem
Schluss, dass diese Pflanzen denen gleichzustellen sind, die durch
konventionelle Züchtungstechniken erzielt werden können. Es entbehrt nicht
einer gewissen Ironie, dass es sich bei SAM und der EFSA um zwei von der
Europäischen Kommission eingesetzte, wissenschaftliche Gremien handelt, deren
Schlussfolgerungen wiederum vom Europäischen Gerichtshof diametral
widersprochen wird. Als Wissenschaftler sehen wir nun die Politik am Zug,
diesen Widerspruch aufzuheben.
So schwierig
und politisch langwierig es auch sein mag, in den Gesetzen zumindest die
GVO-Definitionen an den wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen – nichts zu
tun und die Dinge einfach laufen zu lassen, ist keine Alternative. Die Anwendungen
des Genome Editing braucht klare Richtlinien, aber – und das ist essentiell –
auf einer deutlich differenzierteren Ebene, als sie pauschal unter die strengen
Regularien des Gentechnikgesetzes zu verbannen.
Wir haben die
Chance, das zu diskutieren und auch auf nationaler Ebene abgestuft zu
betrachten. Die viel beschworene Einbeziehung der Bürger muss dabei
stattfinden. Was wir nämlich neben konsequentem und verantwortungsbewusstem
politischem Handeln brauchen, ist ein fachübergreifender und ergebnisorientierter
Dialog. Kein zermürbender öffentlicher
Schlagabtausch mit Hörschutz gegen die Argumente der anderen Seite oder das
Ausrichten von Filterblasenveranstaltungen, in denen man sich nur gegenseitig
in der zementierten Haltung bestärkt. Ziel muss es sein, mögliche Vor- und
Nachteile für Umwelt und Gesellschaft zu diskutieren sowie offene Fragen zu
klären, damit der Einsatz der Techniken effizient, zukunftsorientiert und zum
Wohle aller gestaltet werden kann.
Bei all dem wollen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gerne mithelfen. Was wir allerdings von Ihnen und anderen involvierten Politikerinnen und Politikern benötigen, ist Gehör und Unterstützung. Beides können Sie natürlich auch von uns vollumfänglich erwarten. Seien Sie deshalb versichert, dass wir für jeden konstruktiven Austausch sehr gerne zur Verfügung stehen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr.
Klaus Dieter Jany, Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V. (WGG), Frankfurt
am Main
Prof. Dr. Bernd Müller-Röber, Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO), Berlin
Offener Brief von VBIO und WGG an BMBF und BMEL
Nach dem EuGH-Urteil zu Genome Editing – Die Politik
ist am Zug
Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner
Offener Brief von VBIO und WGG an BMBF und BMEL
Liste der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, Stand:
14.12.2018
Weitere Kolleginnen und Kollegen haben den offenen
Brief an BMBF und BMEL unterschrieben