Statements – Stellungnahmen - Kommentare
Impuls 2.0 (2020): WGG und VBIO zur Regulierung von Genome Editing
Genome Editing: Faktenbasierte Regulierung durch differenzierte Betrachtungsweise
Impulse zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur rechtlichen Einordnung von Mutageneseverfahren
Ausgangslage
Nach
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 25. Juli 2018 [1] sind
durch Mutagenese 0gewonnene Organismen grundsätzlich als gentechnisch
veränderte Organismen (GVO) einzustufen und unterliegen deshalb den Regelungen
des Gentechnikgesetzes (Richtlinie 2001/18/EG). Zur Begründung wird angeführt,
dass durch Verfahren der Mutagenese eine auf natürliche Weise nicht mögliche
Veränderung am genetischen Material eines Organismus vorgenommen wird.
Der
EuGH unterscheidet prinzipiell nicht zwischen den neuen (gezielten) und alten
(ungerichteten) Methoden der Mutagenese (Erzeugung von Erbgutveränderungen).
Das heißt, dass sowohl Organismen, deren Erbgut mithilfe von klassischer
Mutagenese [2], bei der mutagene Chemikalien oder ionisierende Strahlung zur
Veränderung des Genoms eingesetzt werden, als auch der gezielten Mutagenese
(Methoden des Genome Editing), als genetisch veränderte Organismen (GVO) im
Sinne der EU-Richtlinie 2001/18/EG zu betrachten sind.
Nach
Interpretation des EuGH wurden die schon vor Verabschiedung der Richtlinie am
12. März 2001 praktizierten, klassischen Methoden der Mutagenese vom
Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen. Sie gelten seit langem als
sicher (Art.3 Abs.1 der Richtlinie 2001/18 i.V. Nr.1 ihres Anhangs I B und 17.
Erwägungsgrund). Dagegen bestünden bei den neuen Mutagenese-Verfahren noch
keine hinreichenden Erfahrungen. Sie hätten somit ein vergleichbares
Risikopotential wie die Erzeugung transgener Pflanzen, bei denen fremde
Erbsubstanz ins Genom von Organismen eingeschleust wird. Dem Vorsorgeprinzip
folgenden, müssten deshalb die Regelungen des Gentechnikgesetzes Anwendung
finden (Art.2 Nr.2 der Richtlinie 2001/18; 4., 8. und 25. Erwägungsgrund).
Diese Organismen und alle daraus gewonnene Erzeugnisse sind somit vor dem Inverkehrbringen
einer umfassenden Sicherheitsbewertung für Mensch, Tier und Umwelt zu unterziehen.
Ebenso müssen sie rückverfolgbar sein und gekennzeichnet werden.
Gegenstand/
wissenschaftlicher Hintergrund
Anders
als bei der klassischen Gentechnik werden in der Regel beim Genome Editing
keine „fremden“ Gene oder größere neue Nukleotid-Sequenzen eingeführt, sondern
es wird an einer vorbestimmten Stelle gezielt ein Doppelstrangbruch der
DNA-Kette herbeigeführt. Bei der anschließenden zelleigenen Reparatur können
einzelne DNA-Bausteine entfernt oder eingefügt werden. Infolge des entstandenen
„Fehlers“ wird das betreffende Gen inaktiviert oder aktiviert. Nichts anderes
passiert bei natürlichen Mutationen, wie sie sich zufällig immer wieder und in
großer Zahl ereignen.
In der
klassischen Pflanzenzüchtung werden solche zufällig auftretende oder
absichtlich induzierte, aber nicht gerichtete Mutationen im Pflanzengenom
genutzt, um Eigenschaften von Pflanzen zu verändern bzw. neue Eigenschaften zu
erzeugen. Hierbei ist allerdings nicht bekannt, an welchen Stellen im Genom und
in welcher Anzahl sie aufgetreten sind. In einem Selektionsprozess (Rückkreuzungen)
müssen aus vielen unerwünschten Veränderungen die Erwünschten herausgelesen werden.
Die Verfahren des Genome Editing, bei denen die jeweilige DNA-Sequenz bekannt
ist, ermöglichen es, punktgenaue Mutationen im Erbgut zu erzeugen. Es wird eine
vorab definierte Stelle im Erbgut angesteuert, um die DNA genau hier zu
schneiden. An dieser Position können nun folgende Veränderungen erfolgen [3]:
1. Ohne weiteren
Eingriff repariert die Zelle den DNA-Bruch. Dadurch kann an der betroffenen
Stelle eine Mutation (Punktmutation, kurze Deletion oder Insertion) entstehen
(Genome Editing 1 bzw. SDN-1). Auch bei der Anwendung der ODM-Technologie, bei
der Veränderungen im Genom durch die Behandlung von Zellen mit kurzen
Nukleinsäure-Strängen herbeigeführt werden, entstehen Punktmutationen, ohne
dass die DNA mittels einer Nuklease geschnitten wird. Diese und weitere
molekularbiologische Technologien, die zu ähnlichen Veränderungen im Genom führen
(gezielte Punktmutationen, kurze Deletionen oder Insertionen) oder solche, die
lediglich die Methylierung von DNA-Bausteinen bewirken (ohne Veränderung der
DNA-Sequenz selbst) [4], werden hier allgemein unter SDN-1-Verfahren
zusammengefasst.
2. Wird ein Stück DNA in
die Zelle eingebracht, das nahezu identisch zur ursprünglichen Sequenz ist, aber
einzelne Änderungen in der Basenfolge enthält, so nutzt die Zelle diese DNA als
Vorlage, um den Bruch zu schließen. Im Ergebnis wird die neu eingebrachte DNA
in das Genom der Zelle integriert (SDN-2).
3. Wird DNA in die Zelle
eingebracht, die neben der ursprünglichen Sequenz ein längeres DNA-Fragment
(mehr als 20 Basen) oder ein komplettes Gen eines anderen Organismus
beinhaltet, so kann die Zelle dieses neue Gen bei der Reparatur an der
Bruchstelle einbauen (SDN-3).
Pflanzen,
die aus SDN-1 und SDN-2-Verfahren hervor gehen, lassen sich nicht von Pflanzen unterscheiden,
die auf Basis herkömmlicher Verfahren der Mutagenese oder durch spontane Mutation
entstanden sind. In der Natur kommen derlei Mutationen ständig vor. Sie sind
der Motor der Evolution. Nur bei SDN-3-Methoden wird ein längeres DNA-Fragment
eingefügt, das dann auch leicht mittels molekulargenetischer Verfahren (z.B.
PCR) nachgewiesen werden kann.
Problematik
Die
Rechtsgrundlage für das im Juli ergangene EuGH-Urteil ist die Richtlinie
2001/18, basierend auf dem Wissensstand der 1990er Jahre. Sie entspricht nicht
mehr dem aktuellen Stand von Wissen und Technik.
Der
Richterspruch orientiert sich ausschließlich am Prozess der Erzeugung – also am
Eingriff ins Genom – und nicht am Resultat, also der letztlich daraus
entstandenen Pflanze.
Mit
den neuen Verfahren können letztlich die gleichen Mutationen erzeugt werden wie
mit der konventionellen Mutagenese. Die Entscheidung des EuGH-Urteils kann
zukünftig dazu führen, dass zwei in dieser Hinsicht genetisch identische
Pflanzen unterschiedlich reguliert werden müssen. Dieser Sachverhalt zeigt,
dass eine Bewertung des Risikos anhand des genutzten Verfahrens, also eine prozessbasierte
Risikobewertung, nicht angemessen ist [5]
Viele
durch Methoden des Genome Editing entstandene Pflanzen bzw. daraus gewonnene
Produkte können nicht von Produkten unterschieden werden, die durch natürliche
Prozesse oder durch herkömmliche Züchtungstechniken verändert wurden. Mit
etablierten Nachweismethoden ist dies nicht möglich. Dies wird in dem Bericht
des Joint Research Center Detection of food and feedplant products obtained by
new mutagenesis techniques6 (veröffentlicht am 26. März 2019 [6]). deutlich:
·
„Für
nicht eindeutige DNA-Änderungen, die ein oder wenige DNA-Basenpaare betreffen,
kann einAntragsteller möglicherweise keine ereignisspezifische Methode
entwickeln“ [7].
·
„Durch
Genom-Editing gewonnene Pflanzenprodukte können unerkannt auf den Markt gelangen.
Wenn ein Produkt mit einer unbekannten oder nicht eindeutigen DNA-Änderung auf
dem EU-Markt entdeckt würde, wäre es außerdem schwierig oder sogar unmöglich,
einen Beweis vorlegen zu können, dass die geänderte Sequenz aus der Bearbeitung
von Genomen stammt“ [8].
Da das
Ergebnis der durch Genom-Editierung erzeugten Veränderungen oft identisch ist
mit Mutationen, die spontan in der Natur entstehen, ist es im Normalfall
unmöglich, von dem Nachweis einer solchen Veränderung auf die Art ihrer
Entstehung zu schließen. Dies bedeutet, dass die aktuelle EU-Gesetzgebung zur
Kennzeichnung bei importierter Ware durch Kontrollen nicht durchgesetzt werden
kann. Der nicht rechtssichere Nachweis der Anwesenheit einer genetischen
Veränderung, erschwert Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit und dies wird zu
Verwerfungen im internationalen Warenverkehr führen.
Bereits
eine geringfügige Änderung des existierenden Regelwerks würde es erlauben, die Europäische
GVO-Gesetzgebung an Regelwerken anderer Länder anzupassen. Dadurch könnten Wissenschaftler,
Pflanzenzüchter, Landwirte und Produzenten der EU-Mitgliedsstaaten die
Genom-Editierung als Werkzeug nutzen, um Beiträge für die Bewältigung der
zukünftigen Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung in Umwelt und
Landwirtschaft Lebensmittelproduktion zu leisten [9].
Fazit
Die
Juristen haben entsprechend den rechtlichen Gegebenheiten geurteilt.
Naturwissenschaftliche Bewertungen wurden nicht mit einbezogen. In der Politik
wiederum hat man die schon lange notwendige Anpassung des Gentechnikgesetzes an
den Stand der Wissenschaft seit Jahren vor sich hergeschoben und schlicht
nichts getan. Das Resultat: Juristen werden in Sachen Gentechnik nach geltendem
Recht gefragt und entscheiden nach geltendem Recht – und damit gleichzeitig nach
Stand der Wissenschaft der 1990er Jahre.
Das
Urteil wird dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik zweifelsohne nicht
gerecht. Genome Editing hat eine sehr große Anwendungsbreite: Es kann eine
kleine Mutation oder eine große Genomänderung erzeugen. Eine pauschale
juristische Festlegung ist aus diesem Grunde nicht geeignet.
So
schwierig und politisch langwierig es auch sein mag die Gesetze an den
wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen – nichts zu tun und die Dinge einfach
laufen zu lassen, ist keine Alternative. Die Anwendungen des Genome Editing
braucht klare Richtlinien, aber – und das ist essenziell – auf einer deutlich
differenzierteren Ebene, als sie pauschal unter die Regularien der Gentechnikgesetzgebung
zu verbannen.
Wir
haben die Chance, das zu diskutieren und differenzierter zu betrachten. Es gilt
nun, gegenüber der EU-Kommission mit entsprechenden Vorschlägen für eine
faktenbasierte Gesetzgebung einzutreten, die wissenschaftliche Erkenntnisse
berücksichtigt und differenzierte Betrachtungsweisen der Genome
Editing-Verfahren mit einbezieht, um Forschung und Entwicklung in Europa nicht
ins Hintertreffen geraten zu lassen.
Bleibt
die Formulierung des Urteils das letzte Wort und die EU-GVO-Gesetzgebung
weiterhin so wie sie ist, haben die Anwendungen des Genome Editing in der
Europäischen Union kaum eine Chance. Von der Technik profitieren werden in
erster Linie große, multinationale Konzerne, denn nur diese können die immensen
Kosten des aufwändigen und langwierigen Zulassungsverfahrens tragen. Eine zunehmende
Marktkonzentration wird so weiter vorangetrieben. Dabei bergen gerade die
Methoden des Genom-Editing eine Chance zur Demokratisierung und Beteiligung
kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Die
Folge wären dauerhafte und einschneidende Nachteile für Forschung und
Entwicklung – beispielsweise in Hinblick auf dringend benötigte
klimaresistente, nährstoffreichere und ertragreichere Nutzpflanzen zur
Bewältigung ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Herausforderungen.
Zudem steht zu befürchten, dass exzellente Forscher und mit ihnen ihr Know-how
abwandern, weil sie in Europa keine Entwicklungsmöglichkeiten sehen.
Eine
Revision des Gentechnikgesetzgebung ist mittelfristig notwendig. Bis dahin
müssen aber auch innerhalb der bestehenden Regelungen Möglichkeiten eröffnet
werden, die Instrumente des Genome Editing nach sorgfältiger Abwägung von
Stärken, Schwächen und möglichen Risiken verantwortungsvoll anzuwenden. Dies
gilt für alle Anwendungsfälle – ganz explizit auch für den Bereich der
Pflanzenforschung.
Handlungsvorschläge
Eine
wissenschaftlich nachvollziehbare Regulierung bedarf einer Unterscheidung
zwischen den verschiedenen Techniken des Genome Editing und einer
differenzierten Betrachtung der verschiedenen Anwendungen.
Ob die
neuen Züchtungstechniken GVO nach dem Gentechnikrecht erzeugen und die so
erzeugten Produkte in der Konsequenz dem geltenden Gentechnikrecht unterliegen,
lässt sich nicht pauschal beantworten. Es ist nicht ausschlaggebend, dass bei
der Anwendung der Technik eine genetische Veränderung durch Menschenhand
erzeugt wird. Es muss vielmehr berücksichtigt werden, ob die mit den neuen
Methoden erzeugte Veränderung auf natürliche Weise hätte entstehen können –
vgl. § 3 Gentechnikgesetz (GenTG) [10].
Entscheidend
ist das Fehlen von längeren DNA-Fragmenten (mehr als 20 Basenpaare) oder von kompletten
Genen anderer Organismen in den mittels Genome Editing erzeugten Pflanzen.
Solche Genom-editierten Organismen, die keine „Fremd-DNA“ enthalten,
sollten von der gleichen Ausnahmeregelung profitieren können, die für
gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gilt, welche durch traditionelle
Mutageneseverfahren erzeugt wurden (Annex I B Teil2). Stattdessen sollten die
bewährte Saatgutregulationen zur Anwendung kommen.
Pflanzen, bei denen
längere DNA-Sequenzen (mehr als 20 Basenpaare) eingefügt oder deletiert wurden
oder ein Transfer von Gensequenzen über Artgrenzen hinweg erfolgt (SDN 3),
sollen auch im novellierten Rechtsrahmen einer Bewertung und Genehmigung im
Rahmen des Gentechnikrechts unterzogen werden [11].
Konkret
wird vorgeschlagen:
1.
Organismen,
die mit folgenden Techniken erzeugt wurden, im Anhang I A Teil 2 der Richtlinie
einzuschließen:
Molekulare Verfahren,
die durch ihre Anwendung eine genetische Veränderung bewirken, wie sie auf
natürliche Weise entstanden sein kann, insbesondere Verfahren, die
a. Deletionen von
DNA-Fragmenten bewirken
b. einzelne
Basenpaare austauschen
c.
eine Insertion, Inversion oder Translokation solcher genetischer Information im
Genom bewirken, die im natürlichen Genpool derselben Art oder nahe verwandter
Arten bekanntermaßen vorkommt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit vorkommen kann.
2. die nach Anhang I B bereits von der Verordnung
ausgenommenen Organismen, um folgende neue Kategorien zu ergänzen:
Molekulare Verfahren,
die durch ihre Anwendung eine genetische Veränderung bewirken, wie sie auf
natürliche Weise entstanden sein kann, insbesondere Verfahren, die
a. Deletionen von
DNA-Fragmenten bewirken
b. einzelne Basenpaare
austauschen
c.
eine Insertion, Inversion oder Translokation solcher genetischer Information im
Genom bewirken, die im natürlichen Genpool derselben Art oder nahe verwandter Arten
bekanntermaßen vorkommt oder mit hoher Wahrscheinlichkeit vorkommen kann. [12]
Allen
drei Kategorien ist gemeinsam, dass die Zielorganismen keine Fremd-DNA
enthalten.
__________________________________
[ 1] http://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-528/16
[ 2]
http://www.zkbs-online.de/ZKBS/DE/03_Fokusthemen/Genome%20Editing/Genome%20Editing_node.html
[ 3] Für weiterführende Informationen siehe: Sprink, T., Eriksson, D.,
Schiemann, J., Hartung, F. (2016):Regulatory hurdles for genome editing:
process- vs. product-based approaches in different regulatory contexts. Plant Cell Reports,
35:1493-1506.
[ 4] Dies ist mit der
sogenannten RdDM-Technologie (RNA-dirigierte DNA-Methylierung) möglich.
[ 5]
http://www.zkbs-online.de/ZKBS/DE/03_Fokusthemen/Genome%20Editing/Genome%20Editing_node.html
[ 6]
http://gmo-crl.jrc.ec.europa.eu/doc/JRC116289-GE-report-ENGL.pdf
[ 7] ebd.
[ 8] ebd.
[ 9]
https://www.mpimp-golm.mpg.de/2342131/news_publication_13748381?c=2162
[10] vgl.
https://www.wgg-ev.de/aktuelles/impulspapier-genome-editing/;
https://www.vbio.de/fileadmin/user_upload/verband/Positionen/160914_GE_Impuls.pdf
[11] ebd.
[12] https://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2019_Stellungnahme_Genomeditierte_Pflanzen_web.pdf,
S. 33
pdf-Datei:
WGG-VBIO Genome Editing: Faktenbasierte Regulierung durch differenzierte Betrachtungsweise
Impulse zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur rechtlichen Einordnung von Mutageneseverfahren (Stand: Januar 2020)