Statements – Stellungnahmen – Kommentare
Impuls 1 (2016): VBIO und Fachgesellschaften zu Genome Editing bei Pflanzen
Genome Editing bei Pflanzen: Vorschlag für einen pragmatischen Umgang im aktuellen Rechtsrahmen
In den
letzten Jahren hat sich die Entwicklung molekularbiologischer Techniken rasant
beschleunigt. Die neuen Verfahren, allen voran das sogenannte Genome Editing,
zu deren Werkzeugen neben TALEN, Zinkfingernukleasen und ODM auch das
CRISPR-Cas9-System gehört [1], erlauben es, das Erbgut von Organismen
punktgenau und mit hoher Präzision zu verändern. Die Veränderungen lassen sich
dabei mitunter nicht von jenen unterscheiden, die in der Natur vorkommen oder
mit Hilfe konventioneller Methoden erzeugt werden. Allerdings werden die
gewünschten Ergebnisse deutlich schneller und zielgerichteter erlangt als mit
herkömmlichen Verfahren der Selektion.
Die
neuen Verfahren haben in der Grundlagenforschung bereits zu einem erheblichen
Erkenntnisgewinn in verschiedenen biowissenschaftlichen und biomedizinischen
Disziplinen beigetragen. Ihr Anwendungspotential (z. B. in der Behandlung von
Krankheiten) lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht endgültig abschätzen,
gibt aber zu großen Hoffnungen Anlass.
Die
Methoden des Genome Editing sind auch für Pflanzenzüchter vielversprechende Präzisionsinstrumente,
um Nutzpflanzen mit besseren Eigenschaften auszustatten. Ausstehend ist allerdings
eine Entscheidung dahingehend, inwieweit mittels Genome Editing bearbeitete
Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu betrachten sind und
damit dem Gentechnikrecht unterliegen. Dies führt bei Wissenschaftlern und
Züchtern zu großen Unsicherheiten.
Die
sich rasch entwickelnden Methoden des Genome Editing stellen die staatlichen
Akteure in Hinblick auf den Gegenstand der Regulierung und die Schnelligkeit
der Entwicklung zweifelsohne vor große Herausforderungen. Es bedarf dabei einer
sorgfältigen Abwägung von Stärken und Schwächen und möglicher Risiken der neuen
Methoden mit dem Ziel, eine verantwortungsvolle Anwendung des Genome Editing in
der Pflanzenforschung auch zukünftig zu ermöglichen. Zur Einschätzung des Genome
Editing liegen bereits Stellungnahmen verschiedener wissenschaftlicher Akteure
vor [2].
Im Folgenden präsentiert der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin (VBIO e. V.) gemeinsam mit Mitgliedsgesellschaften aus den Bereichen Botanik, Molekularbiologie und Biotechnologie einen Impuls für einen pragmatischen Umgang mit dem Genome Editing in der Pflanzenforschung. Mit der abschließenden Empfehlung soll ein Weg aufgezeigt werden, wie die Chancen des Genome Editing auch im Rahmen der geltenden gentechnischen Regularien genutzt werden können.
Genome
Editing in Pflanzenforschung und -züchtung
Bei
der herkömmlichen Pflanzenzüchtung werden zufällig auftretende oder absichtlich
induzierte, aber nicht gerichtete Mutationen im Pflanzengenom genutzt, ohne
dass genau bekannt wäre, an welcher Stelle im Genom die Veränderung vorliegt
und wie sie beschaffen ist. In einem Selektionsprozess müssen aus vielen unerwünschten
Veränderungen die Erwünschten herausgelesen werden. Mit den Verfahren des
Genome Editing ist es dagegen möglich, punktgenaue Mutationen im Erbgut zu
erzeugen. Es wird eine vorab definierte Stelle im Erbgut angesteuert, um die
DNA an dieser Position zu schneiden. An dieser Position können nun folgende
Veränderungen erfolgen [3].
1.
Ohne weiteren Eingriff repariert die Zelle den DNA-Bruch. Dadurch kann an der
betroffenen Stelle eine Mutation (Punktmutation, kurze Deletion oder Insertion)
entstehen (Genome Editing 1 bzw. GE-1). Durch Weiterentwicklung des
CRISPR-Cas9-Verfahrens ist es darüber hinaus vor kurzem möglich geworden, einzelne
Nukleotide gezielt zu mutieren, ohne dass dabei die DNA zuvor geschnitten wird
[4]. Das neue Verfahren wurde bisher zwar nicht an Pflanzen erprobt, jedoch
steht einer Anwendung dieser Technologie in der Pflanzenzüchtung prinzipiell
nichts entgegen. Auch bei der Anwendung der ODM-Technologie, bei der
Veränderungen im Genom durch die Behandlung von Zellen mit kurzen
Nukleinsäure-Strängen herbeigeführt werden, entstehen Punktmutationen, ohne dass
die pflanzliche DNA mittels einer Nuklease geschnitten wird. Diese und weitere
molekularbiologische Technologien, die zu ähnlichen Veränderungen im Genom
führen (gezielte Punktmutationen, kurze Deletionen oder Insertionen) oder
solche, die lediglich die Methylierung von DNA-Bausteinen bewirken (ohne
Veränderung der DNA-Sequenz selbst) [5], werden hier allgemein unter
GE1-Verfahren zusammengefasst.
2.
Wird ein Stück DNA in die Zelle eingebracht, das nahezu identisch zur
ursprünglichen Sequenz ist, aber einzelne Änderungen in der Basenfolge enthält,
so nutzt die Zelle diese DNA als Vorlage, um den Bruch zu schließen. Im
Ergebnis wird die neu eingebrachte DNA in das Genom der Zelle integriert
(GE-2).
3.
Wird DNA in die Zelle eingebracht, die neben der ursprünglichen Sequenz ein
längeres DNA-Fragment (mehr als 20 Basen) oder ein komplettes Gen eines anderen
Organismus beinhaltet, so kann die Zelle dieses neue Gen bei der Reparatur an
der Bruchstelle einbauen (GE-3).
Pflanzen,
die aus GE-1 und GE-2-Verfahren hervor gehen, lassen sich nicht von Pflanzen
unterscheiden, die auf Basis herkömmlicher Verfahren der Mutagenese oder durch
spontane Mutation entstanden sind. In der Natur kommen derlei Mutationen
ständig vor. Sie sind der Motor der Evolution. Nur bei GE-3-Methoden wird ein
längeres DNA-Fragment eingefügt, das dann auch leicht mittels
molekulardiagnostischer Verfahren (z.B. PCR) nachgewiesen werden kann.
Bewertung
Ob die
neuen Züchtungstechniken GVO nach dem Gentechnikrecht erzeugen und die so
erzeugten Produkte in der Konsequenz dem geltenden Gentechnikrecht unterliegen,
lässt sich nicht pauschal beantworten. Es ist nicht ausschlaggebend, dass bei
der Anwendung der Technik eine genetische Veränderung durch Menschenhand
erzeugt wird. Es muss vielmehr berücksichtigt werden, ob die mit den neuen
Methoden erzeugte Veränderung auf natürliche Weise hätte entstehen können –
vgl. § 3 Gentechnikgesetz (GenTG). Daraus folgt, dass die meisten neuen
Züchtungstechniken, darunter auch das CRISPR-Cas9-Verfahren, je nach
Anwendungstyp (siehe oben) sowohl einen GVO als auch einen Nicht-GVO erzeugen
können.
Entscheidend
– und für die folgende Empfehlung grundlegend – ist das Fehlen bzw. das
Vorhandensein von längeren DNA-Fragmenten von mehr als 20 Basen oder von
kompletten Genen anderer Organismen in den mittels Genome Editing erzeugten
Pflanzen. Dabei geht die vorgeschlagene Bewertung von GE-1- und GE-2-Methoden
davon aus, dass die mit diesen Verfahren erzeugten Pflanzenlinien keine
Transgene enthalten; dies gilt ausdrücklich auch dann, wenn zwischenzeitlich
Transgene für technische Komponenten des jeweiligen Verfahrens im Genom der
Pflanze integriert waren, diese aber anschließend entfernt wurden,
beispielsweise durch Auskreuzen.
Empfehlung
Für
eine sachgerechte Herangehensweise auf der Basis des geltenden rechtlichen
Instrumentariums bietet sich aus unserer Sicht folgender Umgang mit den
Methoden des Genome Editing im Bereich der Pflanzenforschung an:
·
Mit
GE-1- und GE-2-Methoden des Genome Editing hergestellte Pflanzenlinien fallen
nicht unter die Begriffsbestimmung nach § 3.3 des geltenden Gentechnikgesetzes,
welcher ausdrücklich nur die Organismen als gentechnisch verändert einstuft,
deren „genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter
natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt“.
·
Mit
GE-1- und GE-2-Methoden erzeugte Produkte sind in Bezug auf die Sicherheit für
Anwender und Konsumenten als gleichwertig zu solchen aus konventioneller
Züchtung zu beurteilen. Sie sollten damit auch den gleichen Regularien
unterliegen. Für die Produkte müsste folglich zwar keine spezielle Risikoprüfung
nach Gentechnikrecht durchgeführt werden, gleichwohl ist derjenige, der
Lebensmittel in den Verkehr bringt, dafür verantwortlich, dass diese
Lebensmittel den Bestimmungen der Lebensmittelbasisverordnung (EG) Nr. 178/2002
entsprechen. Analog sollten mit GE-1- und GE-2-Methoden erzeugte Pflanzen für
die Durchführung von wissenschaftlichen Freilandstudien wie Pflanzen aus
konventioneller Züchtung beurteilt werden.
·
Mit
GE-3-Methoden des Genome Editing hergestellte Pflanzenlinien unterliegen den
Regelungen des Gentechnikrechts.
Der
Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) und
die in ihm organisierten, mitzeichnenden Fachgesellschaften setzen große
Erwartungen in die Anwendung von Genome Editing – Verfahren in der
Pflanzenforschung und Pflanzenzüchtung. Der VBIO und seine Fachgesellschaften
würden es daher sehr begrüßen, wenn sich die damit befassten Ministerien und
Behörden der oben skizzierten sachgerechten Auslegung anschließen könnten.
Wir
hoffen auf eine zeitnahe und differenzierte Klarstellung der rechtlichen Situation
durch die EU-Kommission und bitten Sie eindringlich, sich dort dafür – wie hier
vorgeschlagen – einzusetzen. Als wissenschaftliche Ansprechpartner bieten wir
gerne und ausdrücklich unsere Unterstützung an.
Kontakt:
Prof. Dr. Bernd Müller-Röber, Präsident Verband Biologie, Biowissenschaften und
Biomedizin in Deutschland, c/o VBIO e. V., Luisenstraße 58/59, 10117 Berlin, praesident@vbio.de
Referenzen
[1] TALEN, transcription activator-like effector
nucleases; ODM, oligonucleotid-directed mutagenesis; CRISPR-Cas9, Clustered
Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats – CRISPR-associated protein 9.
Für
einen Methodenüberblick siehe http://www.epsoweb.org/file/2181.
[2] Zum Beispiel die
Stellungnahme der European Plant Science Organisation (EPSO) unter:
http://www.epsoweb.org/file/2147,
oder die gemeinsame Stellungnahme von DFG, Leopoldina und acatech unter:
http://www.leopoldina.org/uploads/tx_leopublication/2015-03-26_Ad-Hoc-Stellungnahme_Gruene_Gentechnik.pdf
[3] Für weiterführende Informationen siehe: Sprink,
T., Eriksson, D., Schiemann, J., Hartung, F. (2016): Regulatory hurdles for
genome editing: process- vs. product-based approaches in different regulatory
contexts. Plant Cell Reports, 35:1493-1506.
[4] Komor AC, Kim YB, Packer MS, Zuris JA, Liu DR
(2016): Programmable editing of a target base in genomic DNA without
double-stranded DNA cleavage. Nature, 533: 420-424.
[5]
Dies ist mit der sogenannten RdDM-Technologie (RNA-dirigierte DNA-Methylierung)
möglich.
Dieser Impuls des VBIO wird explizit unterstützt von folgenden VBIO-Fachgesellschaften: