Korrespondenz - national
BMEL - Referat 222; cc: EU-Kommission / 2020 Notifizierungsverfahren F2020/280/F


BMEL –
Referat 222
Berlin
Frankfurt/Main und Neustadt an der
Weinstraße, 14. Juli 2020
Bezug:
Notifizierungsverfahren F 2020/280F „vitro-Mutagenese Verfahren“
Sehr
geehrte Frau Perlzweig
Der
Conseil d´État (der Staatsrat) hat am 07.02.2020 das EuGH-Urteil (C-528/16) in
dem 2015 durch Bauern-, Tier- und Umweltverbänden angestrengten Verfahren zur
Einordnung von Mutageneseverfahren umgesetzt. In seinem Urteil (Nr. 388649) [1]
folgte der Staatsrat weitgehend der EuGH-Entscheidung nach dem Pflanzen, die
aus Mutageneseverfahren hervorgegangen sind, gentechnisch veränderte Organismen
(GVO) darstellen und damit der Gentechnik- und Umweltschutzgesetzgebung
unterliegen. Der Staatsrat weist die Regierung an, das Umweltgesetz (Art. D 531)
innerhalb von 6 Monaten entsprechend anzupassen.
Frankreich
hat der EU-Kommission inzwischen den Entwurf eines Dekrets mit dem Titel „über
die Änderung der Liste der Verfahren zur Gewinnung genetisch veränderter
Organismen, die herkömmlich angewendet wurden, ohne nachweislich die
öffentliche Gesundheit oder die Umwelt zu schädigen“ entsprechend der
Richtlinie (EU) 2015/1535 unter der Nummer 2020/0280/F [2] zur Notifizierung
vorgelegt.
Mit
dem Dekret soll Artikel D 531-2 des Umweltgesetzbuches entsprechend den
Vorgaben des Staatsrates geändert werden. In Art.2, 2a wird vorgeschlagen:
„a) Zufallsmutagenese, mit Ausnahme der in-vitro-Zufallsmutagenese,
bei der in vitro kultivierte Pflanzenzelle chemischen oder physikalischen
Mutagenen ausgesetzt werden.“
Dies
würde bei einer Umsetzung des Dekrets bedeuten, dass
1.)
zwischen in vivo– und in in vitro-Zufallsmutagenese unterschieden
wird und diese Mutagenesen rechtlich unterschiedlich eingeordnet werden.
2.
Pflanzen, die durch Behandlung von pflanzlichen Zellen mit mutagenen
Chemikalien oder ionisierenden Strahlen generiert wurden, in Frankreich als
gentechnisch veränderte Organismen reguliert werden.
Eine
Unterscheidung zwischen in vivo und in in vitro Zufallsmutagenese
ist wissenschaftlich nicht vertretbar. Die molekularen Mechanismen, die zu den
Veränderungen in der DNA führen, unterscheiden sich in beiden Fällen nicht.
Diese sind unabhängig ob der Einsatz der mutagenen Agenzien in vivo oder
in-vitro erfolgt.
Diese
Unterscheidung im französischen Vorschlag erscheint willkürlich und entbehrt
einer wissenschaftlichen Grundlage.
Weder
die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC noch der EuGH unterscheidet bei den
Mutageneseverfahren zwischen in vivo und in vitro Verfahren. Es wird lediglich
von Mutageneseverfahren gesprochen, ohne diese genauer zu spezifizieren. Im
EuGH-Urteil wird nur zwischen Mutageneseverfahren, die vor und nach
Inkrafttreten der Freisetzungsrichtlinie angewandt wurden, unterschieden.
Der
französische Vorschlag geht somit weit über das EuGH-Urteil hinaus und führt in
Frankreich und den anderen Mitgliedsstaaten zu unterschiedlichen
gentechnikrechtlichen Einordnungen von Pflanzen, die über in vivo- und in vitro
Mutageneseverfahren gezüchtet wurden. Pflanzen, die durch Zufallsmutagenese
generiert wurden und seit Langem eine „history of safe use“ aufweisen, werden
in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich reguliert. Die Umsetzung des
französischen Vorschlags würde zwangsläufig zu Verwerfungen in der europäischen
Gentechnikgesetzgebung führen und den Gedanken eines gemeinsamen Marktes mit
gemeinsamen Regeln widersprechen.
Dies
hat die EU-Kommission erkannt und deshalb die Europäische Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit der Erstellung einer wissenschaftlichen
Stellungnahme zu in-vivo und in vitro-Mutagenese-verfahren (Mandat-Nr.
M-2020-016) beauftragt. Erwartet wird eine detaillierte Beschreibung der in
vivo und in vitro angewandten Zufallsmutagenesetechniken und eine Beurteilung,
– ob
die Arten der genetischen Veränderung, die durch zufällige Mutagenesetechniken
induziert werden, je nachdem, ob die Technik in vivo oder in vitro angewandt
wird, unterschiedlich sind,
– ob
der molekulare Mechanismus, der den Techniken der zufälligen Mutagenese zugrunde
liegt, je nachdem, ob die Techniken in vivo oder in vitro angewendet werden,
unterschiedlich sind,
– ob
in vitro-Zufallsmutagenese-Techniken im Vergleich zu in
vivo-Zufalls-Mutagenese-Techniken als unterschiedliche Techniken anzusehen sind
oder ob sie im Gegenteil als Kontinuum zu betrachten sind.
Die
Stellungnahme (EFSA Q-2020-00445) soll bis Ende September 2021 fertiggestellt
werden. Sie wird die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu in vivo und von in
vitro Zufallsmutagenesen aufzeigen sowie ihre mögliche Einordnung bzw.
Unterscheidung ermöglichen. Deshalb sollte diese wissenschaftliche
Stellungnahme abgewartet werden, bevor das französische Dekret in Kraft gesetzt
wird.
Der
Hohe Rat für Biotechnologie wurde aufgefordert, eine Liste von in vitro
Mutageneseverfahren zusammenstellen, die seit Langem angewandt werden und
erfahrungsgemäß mit keiner Schädigung der „öffentlichen Gesundheit oder der
Umwelt“ verbunden sind und Pflanzen aufzeigen, die entweder nach in vivo oder
in vitro Zufallsmutagenese generiert und ohne entsprechend Sicherheitsbewertung
in Verkehr gebracht worden sind. Diese Liste liegt aber nach unserer Kenntnis
bislang nicht vor. Die ersten Versuche zur Erzeugung strahlen-induzierten
Mutationen in Pflanzen (Mais) wurden bereits 1928 (Stadler, 1928) publiziert
und im Laufe der Jahre weiteten sich die Anwendungen aus. In vitro Zufallsmutagenesen
werden bei Pflanzen seit Langen erfolgreich und sicher durchgeführt. Erste
Publikationen mit Selektion der pflanzlichen Zellen erscheinen bereits Ende der
1960er Jahre (Lescure, 1969). Ab 1973 werden auf diese Weise herbizidresistente
Pflanzen generiert. Eine der bekanntesten ist der Imidazolinon-resistente Raps
(Swanson, 1989), der seit 1995 in Kanada unter dem Handelsnamen Clearfied
kommerziell angebaut wird (Tan et al., 2005). In vergleichbarer Weise wurden ab
1982 mit in vitro mutagenisierten Kulturen herbizid-resistenter Mais, Weizen
und Reis generiert. In vielen Züchtungsgängen ist heute nicht mehr
nachvollziehbar ob die Mutationen in vivo oder in vitro durchgeführt wurden.
Dies sind nur einige Beispiel von Pflanzen, die lange vor Inkrafttreten der
Freisetzungsrichtlinie generiert wurden und nun bei Umsetzung des Dekrets als
GVO angesehen und vom Markt genommen werden müssen.
Deshalb
sollte auch hier der Bericht des Hohen Rates für Biotechnologie abgewartet
werden, ehe der französische Vorschlag notifiziert wird.
Insgesamt
gesehen, würde die Umsetzung des französischen Dekrets zu einer
Deharmonisierung des europäischen Gentechnikrechtes führen. Eine unterschiedliche
Einordnung von Organismen, hier Pflanzen, in einzelnen Mitgliedsstaaten ist zu
vermeiden und würde dem europäischen Gedanken eines gemeinsamen Marktes
widersprechen.
Die
Umsetzung des französischen Vorschlags würde bedeuten, dass Pflanzen, die durch
Zufallsmutagenese generiert wurden und seit Langem eine „history of safe use“
aufweisen, in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich bewertet werden. Als
wissenschaftliche Vereinigung sind wir nicht unmittelbar an dem Marktgeschehen
beteiligt, aber wir erwarten aufgrund der unterschiedlichen Einordnung der
Pflanzen (Samen und Produkte) Verwerfungen in einem gemeinsamen europäischen
Markt und die Entstehung von Handelsbarrieren einerseits im europäischen und
anderseits im weltweiten Warenverkehr.
Aus
den oben genannten Gründen sind wir, die beiden Vereinigungen, der Auffassung,
dass die Notifizierung des französischen Dekrets in dieser Form nicht erfolgen
sollte und damit einerseits eine EU-einheitliche Implementierung der
Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC erfolgen kann und anderseits innereuropäische
Handelshemmnisse vermeiden werden.
Für
Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.
Prof.
Dr. Klaus-Dieter Jany Prof. Dr. Gabi Krczal
Vorsitzender
Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik e.V ; Vorsitzende Gesellschaft
für Pflanzenbiotechnologie e.V.
jany@wgg-ev.de
gabi.krczal@agroscience.rlp.de
In
Kopie an: EU-Commissioner Stella Kyriakides
Anhang:
Literatur als pdf-Datei
[2]
Notifizierung: https://ec.europa.eu/growth/tools-databases/tris/en/index.cfm/search/?trisaction=search.detail&%3Byear=2020&%3Bnum=280&%3BmLang=DE
Anhang 1 Literatur-Referenzen
Antwortschreiben von EU-Commissioner Stella Kyriakides.