Korrespondenz - international
AFBV – WGG_10-28: Offener Brief an Kommission zum EuGH-Urteil "Mutagenese"
Nach dem EuGH-Urteil zu Mutagenese-Verfahren vom 25. Juli 2018 wendet sich unter Federführung der AFBV und des WGG die „European Initiative for Plant Genome Editing“ in einem 2. offenen Brief an die EU-Kommission und unterbreitet Vorschläge zur Umsetzung des EuGH-Urteils. In zwei Anlagen werden die Vorschläge zu den Genom-Editierungsverfahren und der Etablierung einer Behörde zur Feststellung des Status eines Organismus näher erläutert.
European Commission
Rue de la loi – Wetstraat 200
B-1049 Brussels, Belgium
Frankfurt
am Main und Paris, 17.Oktober 2018
Offener Brief an Kommissionspräsidenten J.-C. Junker und die Kommissare für Gesund-heit und Lebensmittelsicherheit V. Andriukaitis, für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung P. Hugan, für Forschung, Wissenschaft und Innovation C. Moedas sowie für Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit J. Katainen
Sehr geehrter Herr Präsident Junker, sehr geehrte
Kommissare,
dies ist ein Follow-up zu unserem Schreiben vom 18.
Juli 2018 mit Vorschlägen für:
(1) eine
kohärente Auslegung der GVO-Definition der EU-Richtlinie 2001/18/EG,
einschließlich eines Vorschlags für eine Ausnahme oder Einbeziehung von
Produkten, die aus der Verwendung neuer Technologien der Genom-Editierung
stammen;
(2) die
Benennung einer EU-Behörde für die Auslegung des GVO-Status eines Organismus;
(3) die
Bereitschaft der Kommission zu Gesprächen mit landwirtschaftlichen Exporteuren
und Importeuren zur Harmonisierung des Regelungsstatus von Pflanzen und Tieren,
die unter Verwendung von Techniken der Genom-Editierung entstanden sind.
Wie in unserem letzten Schreiben bereits vermutet, hat
der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinem Urteil vom 25. Juli 2018 den
Regelungsstatus von aus Mutagenese-Techniken gewonnenen Organismen entsprechend
der Freisetzungsrichtlinie 2001/18 interpretiert. Er kommt zu dem Schluss, dass
alle durch Mutageneseverfahren erzeugten Organismen als gentechnisch veränderte
Organismen (GVO) anzusehen sind. Dies bedeutet, dass auch Pflanzen, die mit
Hilfe bestimmter Genom-Editierungsverfahren gewonnen bzw. gezüchtet werden,
allen Vorschriften für GVO unterliegen. Eine Entscheidung, die -angesicht der
weltweiten Entwicklungen – sowohl europäische Forschungsinstitutionen sowie
klein- und mittelständigen Saatgutunternehmen und in Folge natürlich auch die
europäische Landwirtschaft stark benachteiligt. Verständlicherweise gibt das
Urteil nur Antworten auf Fragen, die dem Ersuchen des Conseil d’Etat
(Staatsrat) zu-grunde liegen. Viele Fragen europäischer Forschungseinrichtungen
und Pflanzenzüchtern bleiben aber offen. Angesichts dieser Situation ist es für
die Europäische Union dringend geboten, eine gesetzliche Regelung zum Status
von Pflanzen (Organismen), die aus gewissen Genomeditierungsverfahren stammen,
herbeizuführen, die auch im Interesse von Forschung, Saatgutzüchtern und
Verbrauchern ist. Hierbei sollte auch der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der
europäischen Landwirtschaft auf globaler Ebene berücksichtigt werden. Es ist
Aufgabe der Kommission, die derzeitige Situation zeitnah zu klären, damit diese
Techniken angewandt und vernünftig genutzt werden können. Wie wir meinen,
sollte eine Entscheidung über eine Überarbeitung der Richtlinie 2001/18/EG
nicht ausgeschlossen werden. Diese scheint aber wiederum nur in einem
langfristi-gen Prozess durchführbar. Sicherlich ein Zeitraum, der angesichts
der rasanten weltweiten Entwicklungen auf dem Gebiet der Genom-Editierung
jedoch nicht mehr zur Verfügung steht.
Im Folgenden
und in den Anhängen finden Sie deshalb unsere Vorschläge:
1. Kurzfristige Maßnahmen:
Folgende Maßnahmen könnten auf Grundlage der Punkte,
die in unserem Schreiben vom 18. Juli aufgeführt sind, getroffen werden:
a) Erstellung
eines Bewertungsverfahren für Pflanzen, die mit Hilfe folgender Techniken
entwickelt wurden
–
Null-Segreganten – Nachkommen gentechnisch veränderter Pflanzen, aus denen das
GVO-Merkmal durch sexuelle Kreuzung eliminiert wurde;
– Pflanzen,
die mit Anwendungen von Genom-Editing-Techniken generiert wurden, insbesondere
solcher,
(i) die
Deletionen unabhängig von ihrer Größe erfahren haben (SDN-1-Technik),
(ii) bei denen
eine Substitution eines Basenpaares oder einer Insertion von weniger als 20
Basenpaaren erfolgte (SDN2-Techniken).(siehe weitere Beschreibungen von SDN1
und SDN2 in Anhang 1);
(iii) Pflanzen
bei denen ein natives Gen oder ein Gen, das von einer sexuell kreuzbaren Art
stammt, eingefügt wurde (cisgene Organismen).
Zusammenfassend: Für dieses Bewertungsverfahren
könnte eine noch zu benennende europäische Behörde gerichtet werden (siehe
unten), die in einem frühen Stadium der Forschung und/oder Entwicklung solcher
Pflanzen (Organismen) Informationen zu der vorgesehenen Modifikation, dem
eingeführten Merkmal und der verwendeten Technik von Forschungseinrichtungen
oder Züchtern erhält. Die Datenanforderungen für die Bestimmung des
Regulierungsstatus sollten angemessen sein und mit denen von anderen Ländern
geforderten übereinstimmen, um gerade öffentlichen und kleinen private
Unternehmen/Einrichtungen die Möglichkeit zu geben, sich auch in diesen
innovativen Bereichen in eigene Entwicklungen engagieren.
Einige Länder wie beispielsweise die Vereinigten
Staaten, Brasilien, Argentinien, Chile und Japan haben sich bereits zu diesen
Techniken geäußert und die entsprechenden Verfahren eingeführt. Eine
Harmonisierung der Rechtsvorschriften ist unerlässlich. Es wird daher
empfohlen, dass das Bewertungsverfahren, das in der Europäischen Union
eingeführt soll, mit den anderen Ländern vereinbar ist (siehe auch Anhang 1).
b) Benennung
einer EU-Behörde für dieses Bewertungsverfahren
Diese Behörde
soll für die Feststellung des Regelungsstatus dieser Pflanzen/Organismen
(Aus-schluss, Ausnahme oder Einbeziehung) hinsichtlich der geltenden
Vorschriften, insbesondere in Bezug auf die Richtlinie 2001/18/EG und die
Verordnung 1829/2003/EG zuständig sein. Diese Einrichtung sollte über die
notwendigen Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse verfügen, um in der Lage zu
sein, den Regulierungsstatus der Organismen innerhalb eines angemessenen
Zeitrahmens (z. B. 90 Tage) zu etablieren. Dies kann die Kommission selbst oder
ei-ne andere europäische Einrichtung sein, die die wissenschaftliche Kapazität
besitzt, eine solche Bewertung durchzuführen.
(Weitere
Informationen in Anhang 2).
Es obliegt der Kommission, den geeignetsten
Entscheidungsprozess zu finden, der eine rasche Umsetzung der obigen
Ausführungen ermöglicht.
2.
Längerfristige Maßnahmen
Die erste europäische Richtlinie über GVO wurde 1990
in Kraft gesetzt. Nach Überarbeitungen entstand daraus die Richtlinie
2001/18/EG, die im März 2001 angenommen wurde und noch heute gültig ist.
Seitdem wurde das Cartagena-Protokoll am 27. August 2002 von der Europäischen
Union ratifiziert und durch die Verordnung (EG) Nr. 1946/2003 vom 15. Juli 2003
in europäisches Recht umgesetzt. Im Anschluss an diese Umsetzung erließ die
Kommission die Verordnung 1829/2003/EG vom 22. September 2003 über genetisch
veränderte Lebensmittel und Futtermittel und am selben Tag die Verordnung
1830/2003 / EG über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung genetisch
veränderter Organismen und die Rückverfolgbarkeit von aus genetisch veränderten
Organismen hergestellten Lebens- und Futtermitteln und zur Ergänzung der
Richtlinie 2001/18/EG in diesem Bereich. Parallel dazu haben viele Länder
Vorschriften für GVO erlassen.
Seit 2001 wurde eine Fülle wissenschaftlicher Daten
veröffentlicht, die die Sicherheit von kommerziell vertriebenem, gentechnisch
verändertem Saatgut und daraus hergestellter Produkte wissenschaftlich belegen.
Darüber hinaus haben sich der Stand von Wissenschaft und Technik deutlich
weiterentwickelt. Obwohl die europäische Erfahrung mit dem Anbau gentechnisch
veränderter Pflanzen sich hauptsächlich auf den Einsatz der MON810 in Spanien
und Portugal beschränkt hat, ist ihre weltweite Vermarktung in den letzten 20
Jahren erheblich angewachsen und erreichte eine Gesamtfläche von 189,8
Millionen Hektar weltweit. Mehr als 17 Millionen Landwirte in 24 Ländern
demonstrieren damit den Nutzen dieser Pflanzen für die verschiedenen Akteure in
der Landwirtschaft und die daraus gewonnenen Nahrungsmittel. Unter
Berücksichtigung all dieser Elemente erscheint es uns wichtig, eine umfassende
Analyse und Bewertung der Vorschriften zu gentechnisch veränderten Organismen
durchzuführen.
Diese Überprüfung sollte unter anderem die nachstehend
kurz skizzierten Anpassungen umfassen:
•
Harmonisierung der in Europäischen Union geltenden GVO – Richtlinien und der
entsprechen-den Verordnungen (siehe oben). Insbesondere sollte die Definition
eines GVO, unter Berücksichtigung der Definitionen des Cartagena-Protokolls
erfolgen. Zur Gewährleistung eines reibungslosen Welthandels sollte darauf
geachtet werden, dass die europäischen Rechtsvorschriften mit den Vorschriften
anderer Länder in Einklang gebracht werden können.
• Anpassungen
der derzeitigen Anforderungen für die Zulassung gentechnisch veränderter
Organismen unter Berücksichtigung des gesammelten weltweiten Wissens der
letzten 20 Jahren.
• Rückkehr zu
der ursprünglichen Absicht des Regulierungssystems und der Anpassung der
Anforderungen von Fall zu Fall, unter Berücksichtigung der Art und Verwendung
des Organismus und/oder des daraus hergestellten Produktes. Die Neubewertung
einer absoluten Notwendigkeit von 90-Tage Nagetierfütterungsstudien wäre ein
gutes Beispiel.
•
Sicherstellung, dass das implementierte Verfahren arbeitsfähig und anwendbar
ist und ein regulatorisches Ergebnis in einem Zeitrahmen erzielt werden kann,
der mit Vermarkten oder Einfuhr dieser Produkte vereinbar ist.
Für Nachfragen und persönliche Gespräche stehen wir
Ihnen gern zur Verfügung.
Hochachtungsvoll,
Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany, Alain
Deshayes
Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik eV (WGG) Association Française des Biotechnologies
végétales (AFBV)
Anlage 1: Erläuternder Anhang mit Begleitdokumenten
Anlage 2: Benennung einer spezifischen zuständigen
Behörde für kurzfristige Maßnahmen
Erläuternder Anhang mit Begleitdokumenten
Benennung einer spezifischen zuständigen Behörde für kurzfristige Maßnahmen
Brief in Englisch mit den Anhängen
Referenzen
SAM –
Bericht: High Level Group of Scientific Advisors (2017): Explanatory Note on New
Techniques in Agricultural Biotechnology; Explanatory Note 02
ACRE –Advisory
Committee on releases to the environment
Report 1:
Towards an evidence-based regulatory system for GMOs. ACRE,
Advisory Committee On Releases To The Environment (2013a)
Report 2:
Why a modern understanding of genomes demonstrates the need for a new
regulatory system for GMOs. (2013b)
Report 3:
Towards a more effective approach to environmental risk assessment of GM crops
under current EU legislation (2013c)
ACRE
advice: New techniques used in plant breeding (2014)
https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/239542/new-techniques-used-in-plant-breeding.pdf
BVL –Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit
Opinion on
the legal classification of New Plant Breeding Techniques, in particular ODM
and CRISPR-Cas9.
EASAC – European
Academies Science Advisory Council 23.03.2017
Genome
Editing: Scientific opportunities, public interests, and policy options in the
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A new
report by the European Academies‘ Science Advisory Council on genome editing
gives advice to European policy-makers on ground breaking research involving
genome editing and plants, animals, microbes and patients.
Planting
the future: opportunities and challenges for using crop genetic improvement
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AND
http://www.ask-force.org/web/EASAC/EASAC-Planting-the-Future-FULL-REPORT-20130627.pdf
EFSA – European
Food Safety Authority
Scientific
opinion addressing the safety assessment of plants developed through cisgenesis
and intragenesis (26.01.2012)
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2012.2561
Scientific
opinion addressing the safety assessment of plants developed using Zinc Finger
Nuclease 3 and other Site-Directed Nucleases with similar function (25.10.2015)
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2012.2943
EFSA Letter
to Commission
http://www.ask-force.org/web/EFSA/EFSA-letter-ODM-European-Commission-Dorothee-Andre-20151015.pdf
HCB – Haut
Conseil des Biotechnologies, Conseil Scientifique,
„Avis
sur les nouvelles techniques d’obtention des plantes (New Plant Breeding
Techniques – NPBT)“,
Englische
Übersetzung: SCIENTIFIC COMMITTEE SCIENTIFIC OPINION ON NEW PLANT BREEDING
TECHNIQUES
SBA – Swedish
Board of Agriculture
CRISPR/Cas9
mutated Arabidopsis
https://www.upsc.se/documents/Information_on_interpretation_on_CRISPR_Cas9_mutated_plants_Final.pdf